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Richtig anlegen: Breit streuen oder gezielt anlegen?

Die meisten Anlageprofis streuen in ihren Portfolios ihr Geld breit, andere setzen auf wenige, aber dafür vielversprechende Investments. Doch was ist besser? Von Julia Groth und Udo Trichtl

Seit dem Corona-Crash 2020 und der darauffolgenden Erholung an den Börsen investieren immer mehr Menschen in Aktien. Anlageprofis freut das. Was sie weniger freut: Wie und in was ein großer Teil der Börsenneulinge investiert. "Viele der Neuanleger neigen zu sehr konzentrierten Portfolios mit einigen wenigen Aktien aus einer gehypten Branche wie E-Mobilität oder Wasserstoff", sagt Michael Huber, Co-Geschäftsführer der unabhängigen Anlageberatung VZ Vermögenszentrum. Der Investmentexperte fühlt sich an die Zeit des Neuen Markts erinnert: Damals hatten viele unerfahrene Investoren ausschließlich auf die Aktien der Shootingstars des noch jungen Internet- und Computersektors gesetzt und erlebten ein ziemlich böses Erwachen, als die Dotcom-Blase platzte.

Investmentprofis sind sich einig: Ein bisschen Tesla, etwas Alphabet und ein Schuss Facebook - das ist kein sinnvoll aufgestelltes Aktienportfolio. Wie ein wirklich sinnvolles Portfolio aussieht, darüber gibt es allerdings keinen Konsens, sondern eine bisweilen leidenschaftliche Diskussion: Wie viele Aktien sollten mindestens enthalten sein? Aus wie vielen Branchen sollten die Titel insgesamt stammen? Und aus wie vielen Ländern? Kurzum: Wie breit sollten Aktienanleger ihr Kapital streuen? Die eine Antwort auf diese Fragen gibt es nicht.

Streuen wie der Nobelpreisträger

Die Idee, dass die Diversifikation bei der Geldanlage das Verlustrisiko senkt und dass es eine Art optimales Portfolio gibt, geht maßgeblich auf Harry Markowitz zurück. Der US-Ökonom gilt als Vater der modernen Portfoliotheorie und bekam für seine Arbeit im Jahr 1990 den Wirtschaftsnobelpreis verliehen. Seine Theorie besagt stark vereinfacht: Für jeden Investor gibt es ein Portfolio, das dessen Risiko-Rendite-Profil bestmöglich entspricht. Bei gleicher Renditeerwartung gibt es dann kein anderes Portfolio mit geringerem Risiko. Oder umgekehrt: Bei gleichem Risiko ist keine höhere Rendite möglich. Um dieses optimale Portfolio zusammenzustellen, muss man die Wertpapiere am Markt richtig miteinander kombinieren. Herzstück der Portfoliotheorie ist also die Diversifikation.

Nach Markowitz gibt es nur individuelle Portfoliolösungen, nicht jedoch den einen perfekten Wertpapiermix für alle. Mit einer zu geringen Zahl an Aktien könne man aber grundsätzlich keinen ausreichenden Diversifikationseffekt erzielen, ist Anlageberater Huber vom VZ Vermögenszentrum überzeugt. Er sieht Anlagen in Einzelaktien generell kritisch, würde sie höchstens als Beimischung zu einem breit gestreuten Fonds- oder ETF-Portfolio empfehlen. Will jemand partout in Einzeltitel investieren, sollte er mindestens 50 Aktien kaufen, schätzt Huber. "Ein konzentriertes Portfolio kann in der Regel nicht auf Dauer den Markt schlagen", sagt er. Experimente sind seiner Ansicht nach nicht nur riskant, sondern auch unnötig: "Der breite Markt bietet genug Renditechancen."

Viele Anleger haben sich, bewusst oder unbewusst, Markowitz’ Theorie zu Herzen genommen und verfahren beim Diversifizieren nach dem Motto: Mehr ist mehr. ETFs genannte börsengehandelte Indexfonds auf breite Indizes wie den MSCI World oder den MSCI All Country World sind fast schon Klassiker. Mit ihnen investiert man in eine vierstellige Zahl an Aktien, verteilt über den ganzen Globus und verschiedenste Branchen. Allein der MSCI World ETF des Branchenprimus iShares ist mittlerweile fast 40 Milliarden Euro schwer. Millionen Privatanleger auf der ganzen Welt besparen diesen Indexfonds.

Was dabei manchmal untergeht: Eine breite Diversifikation senkt zwar das Verlustrisiko. Sie limitiert aber auch die Gewinnchancen. Denn: Wer den breiten Markt kauft, holt sich sowohl die Gewinner als auch die Verlierer ins Depot. Die Gewinner fallen dann nicht mehr so stark ins Gewicht. Das zeigt die Wertentwicklung des MSCI World im Krisenjahr 2020. Zwar kam der Index, bestehend aus 1600 Werten, im Anschluss an den Corona-Crash schnell wieder auf Hochtouren und legte bis Ende des Sommers um 50 Prozent zu. Die Rally wurde allerdings maßgeblich vom Tech-Sektor getrieben, der im MSCI World ein Gewicht von 21,5 Prozent hat. Eine Anlage in die fünf größten US-Technologiewerte hätte einen deutlich höheren Ertrag gebracht als ein Investment in den Gesamtindex.

Zielen wie eine Börsenlegende

Ein Portfolio, bestehend aus fünf Tech-Aktien, ist wegen des hohen Branchenrisikos nicht zu empfehlen. Es gibt aber Studien, die zeigen, dass sich unternehmensspezifische Risiken auf lange Sicht bereits mit 20 bis 30 Titeln minimieren lassen. Umfasst ein Portfolio mehr als 35 Positionen, nimmt der Diversifikationseffekt deutlich ab. Manche Profis setzen auf eine kleine, aber feine Aktienauswahl statt auf breite Streuung. Die Idee hinter dem sogenannten High-Conviction-Ansatz: Ein einfach zu überschauendes Portfolio erlaubt es Analysten und Fondsmanagern, ihre Ressourcen zu bündeln. So sollen sie ein tieferes Verständnis für die Branchen entwickeln und einen engeren Kontakt zu den Firmen, in die sie investieren, aufbauen.

Der wohl bekannteste Vertreter einer konzentrierten Anlagestrategie ist Börsenlegende Warren Buffett. "Konzentrieren Sie Ihre Investments. Wenn Sie einen Harem mit 40 Frauen haben, lernen Sie keine richtig kennen", lautet ein bekannter, wenn auch politisch nicht sonderlich korrekter Rat des 91-jährigen Starinvestors. Das "Orakel von Omaha" hält über seine Dachgesellschaft Berkshire Hathaway weniger als 50 Positionen, wobei nur fünf Beteiligungen - allen voran Apple - stolze 73 Prozent des investierten Kapitals in Höhe von 324 Milliarden US-Dollar ausmachen.

"Bei einem konzentrierten Portfolio hat ein Portfoliomanager mehr Entscheidungsspielraum, um pro Wertpapier einen höheren Alpha-Beitrag zu generieren", sagt Martin Moeller, Co-Chef des Bereichs globale und Schweizer Aktien bei Union Bancaire Privée. Als Alpha bezeichnet man die Überrendite eines Investments gegenüber seinem Vergleichsindex. Moeller investiert mit seinem Fonds UBAM 30 Global Leaders Equity in ein Portfolio aus nur 30 Aktien, unter anderem aus der IT-, Finanz- und Gesundheitsbranche. Er will so das Renditepotenzial des Fonds gegenüber dem Vergleichsindex maximieren.

Als zentrale Kennzahl bei der Titelauswahl dient Moeller der Cash Flow Return on Investment (CFROI), das Verhältnis zwischen Brutto-Cashflow und Brutto-Investitionen. "Nur Unternehmen, die eine Historie an nachhaltig hohen CFROIs in Kombination mit strukturellen Wachstumstreibern anbieten können, schaffen es in die engere Auswahl", sagt er. Das klingt nach einer ausgeklügelten Strategie. Moeller räumt aber ein, dass Anleger bei einem konzentrierten Fondsportfolio stärker auf die Fähigkeiten des Managers vertrauen müssen und so ein höheres Risiko eingehen.

Die goldene Mitte finden

Doch was ist jetzt richtig? Anleger müssen sich in der Diskussion um Diversifikation versus Konzentration nicht unbedingt auf eine Seite schlagen, denn für beides gibt es gute Argumente. Sie können stattdessen einen Mittelweg wählen: Wollen sie ihre Renditechancen steigern und sind bereit, dafür ein höheres Risiko einzugehen, können sie ein mittelgroßes, nach Branchen und Ländern diversifiziertes Portfolio mit einigen Dutzend Aktien zusammenstellen. Zwischen dem MSCI All Country World mit seinen fast 3000 Werten und einem Depot, das nur fünf Tech-Aktien enthält, ist schließlich viel Platz für sinnvolle und individuelle Anlagestrategien.
 


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